5/18/2018

Allein ist nicht alleinerziehend!



Meine Mutter war alleinerziehend mit drei Kindern von drei verschiedenen Vätern.  Unsere Väter waren unterschiedlich stark engagiert, materiell und persönlich. In meiner Klasse gab es noch ein anderes Mädchen, deren Mutter auch alleine für sie und ihren Bruder sorgte, die Frau arbeitete in einem Discounter. Auch wenn meine Mutter und sie ganz unterschiedlich waren, so verband sie etwas. Sie waren die „Anderen“ auf den Elternabenden, es waren die frühen 90ziger und in der Kleinstadt waren Alleinerziehende noch Exoten.  Wir hatten ein altes, rostiges Polizeiauto, keine Einbauküche, keine neuen Klamotten, kein eigenes Haus.  Die Mutter des Mädchens begleitete uns auf Klassenfahrt, ich fand das toll. Meine Mutter hätte das nie gemacht. Jahre später habe ich darüber nachgedacht, dass sie es vermutlich gemacht hat, um zu zeigen, dass sie sich ebenso engagiert wie die anderen Eltern. Und vielleicht weil es ihre Möglichkeit für Urlaub war. Meine Mutter hat sich immer weitergebildet, keine Oma in der Nähe, die uns mal nahm…sie war vermutlich sehr dankbar, dass ich mal eine Woche verreisen konnte und sie „nur“ ein Kind zu versorgen hatte.
Diese beiden Frauen haben mein Bild von Alleinerziehenden sehr geprägt. Die Angst, dass die Kinder, also wir, irgendwie auffällig sind und das Jugendamt kommt und uns wegnimmt. Deswegen musste es bei uns immer superduperordentlich sein. Auch wenn unsere Möbel alle vom Sperrmüll waren, schaffte es meiner Mutter, dass es schön eingerichtet war. Aber wehe, mein Ranzen stand im Weg oder die Küche war unordentlich. Die Verzweiflung, wenn wir für einen Wandertag 15 Mark mit in die Schule bringen sollten oder die Hallenschuhe für den Schulsport schon wieder zu klein waren. Die Erschöpfung, wenn meine Mutter am hellichten Tag einfach am Küchentisch einschlief oder sie uns für zwei Stunden aus dem Haus aussperrte, weil wir Kinder uns stritten und sie keine Kraft mehr hatte.  Die Falten, die ob der Verantwortung, die sie allein zu tragen hatten, tiefe Spuren in ihren Gesichtern hinterließen: Wieviel Freiheiten darf ein Mädchen mit 13 Jahren haben? Welche Schulform ist die Richtige?  Krankheiten: Als ich im ersten Schuljahr an einer Lungenentzündung erkrankte und sechs Wochen zuhause bleiben musste, machte meine Mutter gerade ihr Abitur nach. Nachdem die Kinderärztin mitbekommen hatte, dass ich zuhause alleine war, lud sie mich zu sich ein, wo sich ihr Kindermädchen um mich kümmerte.



Mein Mann ist diese Woche für drei Tage auf Klassenfahrt. Ich bin alleine mit drei Kindern, 13, 4 und 2 Jahren, dem Hund, unserem Haus, unserer Baustelle, meiner Arbeit als Lehrerin und Referendarin, meinem Ehrenamt. Oft habe ich von Frauen, deren Mann auf Dienstreise ist, gehört: „Hach, diese Woche bin ich alleinerziehend. Das ist ja so furchtbar.“. Ja, es ist anstrengend, wenn du als einzige Erwachsene den Tagesablauf organisieren musst, die einzige Ansprechpartnerin für „ Ich hab groß und klein gemacht“ aus dem Bad gleichzeitig sucht das Küken ihren Schnuller und der Große Junge will jetzt sofort Hilfe bei den Hausaufgaben. Abendessen, Bett bringen, Wäsche, Küche, Einkauf… Doch: heute Abend kommt mein Mann nachhause. Er ist dann wieder da, als Ansprechpartner für die kleinen und großen Fragen der Kinder und meinerseits. Ich musste in dieser Zeit keine schwierigen Entscheidungen treffen, ich kann mich mit ihm beraten, die Verantwortung teilen wie wir mit den Problemen auf der Baustelle umgehen oder den Bisswunden des Küken. Ich hatte in dieser Zeit keine Existenzsorgen, denn ich konnte einfach einkaufen gehen, Lebensmittel und auch ein paar Klamotten, ohne dass wir am Ende des Monats Nudeln mit Soße essen werden. Er wird keinen Ton darüber sagen, dass ich natürlich nicht das Pensum geschaffte habe, was ich mir vorgenommen hatte für meine Facharbeit zu schreiben. Er wird sich mit den Kindern beschäftigen und ich kann mir ein paar Stunden eine Auszeit nehmen. Das ist ein großer, ein riesengroßer Unterschied. Dessen bin ich mir so sehr bewusst und deswegen versuche ich die Alleinerziehenden in meinem Umfeld zu unterstützen wie ich es leisten kann. Ein Netzwerk, das hab ich von meiner Mutter gelernt, ist für alle Familien unerlässlich. Für Familien mit einem Erwachsenen kann es lebensnotwendig sein. Schaut hin, hört zu, ladet ein. Es geht nicht um Almosen, sondern echte Bereitschaft, jemanden zu unterstützen, zu der niemand nach ein paar Tagen nachhause zurück kommt und sie fragt: „Wie geht’s dir?“ Ihr zuhört und sie dann morgens ausschlafen lässt und den Wocheneinkauf übernimmt.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn Nutzer Kommentare oder sonstige Beiträge hinterlassen, können ihre IP-Adressen auf Grundlage unserer berechtigten Interessen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. f. DSGVO für 7 Tage gespeichert werden. Das erfolgt zu unserer Sicherheit, falls jemand in Kommentaren und Beiträgen widerrechtliche Inhalte hinterlässt (Beleidigungen, verbotene politische Propaganda, etc.). In diesem Fall können wir selbst für den Kommentar oder Beitrag belangt werden und sind daher an der Identität des Verfassers interessiert.

Des Weiteren behalten wir uns vor, auf Grundlage unserer berechtigten Interessen gem. Art. 6 Abs. 1 lit. f. DSGVO, die Angaben der Nutzer zwecks Spamerkennung zu verarbeiten.

Die im Rahmen der Kommentare und Beiträge angegebenen Daten, werden von uns bis zum Widerspruch der Nutzer dauerhaft gespeichert.